Zukunftsorientiertes Lernen für eine lebenswerte Zukunft

0

In den letzten Jahren wurde oft der Begriff „zeitgemäße Bildung“ in Verbindung mit den 4Cs (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken) verwendet, um die ideale Bildung im 21. Jahrhundert zu beschreiben (The Partnership for 21st Century Learning, 2015). Die Covid-19-Pandemie hat jedoch gezeigt, dass der Begriff der zeitgemäßen Bildung, die ursprünglich lobenswerte Vorstellung, das Lernen an die veränderte gesellschaftliche Realität anzupassen, in eine Sackgasse geraten ist.

Dies zeigt sich unter anderem bei genauerer Betrachtung des DigitalPakt Schule, der sich als verpasste Gelegenheit erwiesen hat, weil er sich zu sehr auf Ausstattung konzentriert und zu wenig auf eine veränderte Lernkultur (Wössner, 2022a). Schon davor gab es jedoch Anzeichen dafür, dass der Begriff der zeitgemäßen Bildung in die falsche Richtung ging: Seit Jahren werden wir mit Schulungen für zeitgemäße Bildung wie „Das iPad im Englischunterricht“ überflutet, was zu implizieren scheint, dass zeitgenössische Bildung viel mehr mit Technologie als mit Gesellschaft zu tun hat. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren die Definition dessen, was als zeitgemäßes Lernen gilt, stark auf bestimmte Aspekte reduziert, hauptsächlich auf die Verwendung digitaler Geräte und die 4Cs in einem Lernumfeld, das sehr stark von einer Lehrkraft bestimmt ist und in dem Aktivitäten bewertet werden. Mit anderen Worten scheiterte die Umsetzung des ursprünglichen Ideals am aktuellen Bildungssystem und seiner als gesetzt betrachteter Grenzen. Zeitgemäßes Lernen ist daher nicht mehr synonym mit dem, was es nach der ursprünglichen Vision hätte sein sollen. Es ist höchste Zeit, dass wir die Verwendung des Begriffs „zeitgemäße Bildung“ neu bewerten und ihn nach einer neuseeländischen Studie aus dem Jahr 2012 (Bolstad et al., 2012) durch den Begriff des zukunftsorientierten Lernens ersetzen.

Nach Angaben der Forschenden aus Neuseeland war der Begriff „Lernen im 21. Jahrhundert“, der Ende des 20. Jahrhunderts geprägt wurde, bereits 2012 problematisch, da er dazu neigte, aktuelle Praktiken zu beschreiben, aber nicht (oder eher nicht mehr) visionär und zukunftsorientiert war. 2012 verwendeten sie dennoch den Begriff „zukunftsorientiertes Lernen“ oder „Zukunftslernen“ als Synonym für „zeitgemäße Bildung“, da der Begriff zu dieser Zeit bereits in der Wissenschaft etabliert war. Sie betonten jedoch, dass der Begriff für sie eine sich entwickelnde Sammlung neuer Ideen, Überzeugungen, Wissen, Theorien und Praktiken darstellte. Insbesondere sahen sie „zukunftsorientiertes Lernen“ als Kombination eines neuen Verständnisses von Wissen mit neuen Erkenntnissen über das Lernen mit dem ultimativen Ziel, das bestehende System zu dekonstruieren. Sie identifizierten außerdem die folgenden grundlegenden Prinzipien dieses neuen Systems: personalisiertes Lernen, ein neues Verständnis von Gleichheit, Vielfalt und Inklusion, ein Schwerpunkt auf die Entwiclung von Kompetenzen, ein neues Verständnis der Rollen von Lernenden und Lehrkräften, lebenslanges Lernen, die Etablierung einer Zusammenarbeit zwischen Schulen und der Gemeinschaft. Neue Technologien und kollaborative Praktiken wurden als sekundäre Interessensgebiete genannt. Das ultimative Ziel war es, neue Erkenntnisse in das System zu integrieren und es stets weiterzuentwickeln, damit Neuseelands Lernende in der Lage sind, an ihren persönlichen, nationalen und globalen Zukünften teilzuhaben und sie zu gestalten.

Zukunftsorientiertes Lernen berücksichtigt noch immer die 4Cs, fügt ihnen aber andere ebenso wichtige Elemente hinzu, wie Persönlichkeitsentwicklung und Demokratiebildung (vgl. 6Cs of Deep Learning (Fullan & Scott, 2014)) sowie Zukunftskompetenzen (Fidler & Williams, 2016). Gleichzeitig wird in einer Welt, in der Frieden nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden kann und in der die globale Gemeinschaft gemeinsam die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft bewältigen muss, das Erlernen von Fremdsprachen immer wichtiger. Trotz der Tatsache, dass seit 2022 eine ganze Reihe erstaunlicher KI-Anwendungen veröffentlicht wurden, z.B. ChatGPT, und dass dies die Menschen zur fälschlichen Annahme verleiten könnte, dass wir keine Fremdsprachen mehr lernen müssen, um zu kommunizieren, wird es noch lange dauern, bis ein maschinelles Lernalgorithmus kulturelle Nuancen und Mentalitäten verstehen und übersetzen kann. Denn eine neue Sprache zu lernen bedeutet, über die eigene Identität, gemeinsame Werte nachzudenken und Kompromisse zwischen verschiedenen Standpunkte zu schließen. Deshalb ist das Erlernen einer Fremdsprache kein Selbstzweck, es muss in einer authentischen Umgebung stattfinden, in der man die Sprache aus einem spezifischen Grund sprechen muss, der über die Bewertung hinausgeht.

Obwohl nicht jede Person diese Gedanken zu diesem „neuen alten“ Begriff des zukunftsorientierten Lernens teilen wird, da wir schon eine Weile über zeitgemäße Bildung sprechen, geht er eigentlich nicht weit genug: Wenn wir das System ändern wollen, müssen wir viele andere neue Worte verwenden, wie Lerngruppe (anstatt Klasse), Lernumgebung (anstatt Klassenzimmer), Lernende (anstatt Schüler:innen) und Lernbegleitende oder Lernpartner:innen (anstatt Lehrkräfte). Denn traditionelle Terminologie kommt mit vielen vorgefassten Meinungen und historischem Ballast und wird Veränderungen schwierig oder sogar unmöglich machen (Wössner, 2022b).

Trotz allem ist zukunftsorientiertes Lernen auch kein Selbstzweck. Die Gestaltung der Zukunft erfordert auch, dass jede:r über nachhaltige Entwicklung nachdenkt und viele weitere Fähigkeiten erwirbt bzw. entwickelt, wie Zukunftskompetenzen und Problemlösungsfähigkeiten, sowie sich persönlich entwickelt und neugierig bleibt.  Denn unser ultimatives Ziel als Weltbürger:innen ist es, in der Zukunft handlungsfähig zu sein, damit die globale Gemeinschaft aktuelle und zukünftige Probleme lösen kann. Dies steht im Einklang mit dem OECD Learning 2030-Framework, der die Bedeutung von Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werten hervorhebt, die in einem Lernkontext genutzt werden, um Kompetenzen zu entwickeln, mit dem ultimativen Ziel, in der Zukunft handlungsfähig zu sein (OECD, 2018).

Credits: OECD

Abbildung: Das OECD-Learning Framework 2030 (Quelle: OECD, 2018, S. 4)

Dieser erfahrungsbasierte Lern-, Kommunikations- und Kollaborationsraum kann viele Formen annehmen und kann unter anderem Design- und Futures Thinking, Fragen der nachhaltigen Entwicklung (SDGs) und der persönlichen Entwicklung (IDGs), Visionen für eine nachhaltige Zukunft unter Berücksichtigung von Zukunftskompetenz, Anpassungsfähigkeit und forschungsorientiertem Denken (s. GreenComp), Extended Reality, virtuelle Welten, Spiele und Game-based Learning umfassen. So kann ein Paradigmenwechsel vollzogen werden, bei dem die frühere Lehrkraft sowohl als Gestalter:in von Lernmöglichkeiten als auch als Lernende:r fungiert. Das Entwerfen von Lernmöglichkeiten war schon immer Teil des Lehrberufs, so dass sich zwar die Werkzeuge ändern mögen, aber die eigentliche Aufgabe und die damit verbundenen Qualifikationen unberührt bleiben (Rober, 2018).

Dies bedeutet auch, dass die traditionelle Fremdbestimmung der Lernenden durch Selbstbestimmung ersetzt wird.

Zudem war das Spielen schon immer Teil der menschlichen Natur (Huizinga, 1987), daher sollte es für jeden Pädagogen und jede Pädagogin einfach sein, dieses kulturelle Erbe wieder zum Leben zu erwecken, das während der Ausbildung vielleicht aus den Augen verloren ging.

Referenzen

Bolstad et al. (2012). Supporting Future-Oriented Learning and Teaching. New Zealand Government – Ministry of Education.

Fidler, D., & Williams, S. (2016). Future Skills: Update and Literature Review.

Fullan, M., & Scott, G. (2014). Education PLUS. The world will be led by people you can count on, including you!

Huizinga, J. (1987). Homo ludens: vom Ursprung der Kultur im Spiel.

OECD. (2018). The Future of Education and Skills. Education 2030.

Rober, M. (2018, 31. Mai). The Super Mario Effect – Tricking Your Brain into Learning More [Video]. YouTube. [9:47 – 10:49]

The Partnership for 21st Century Learning. (2015). Framework for 21st Century Learning.

Wössner, S. (2022a). . . . außer man tut es – Bildung auf dem schwierigen Weg in die Zukunft. ON. Lernen In Der Digitalen Welt, 8, 4–7.

Wössner, S. (2022b). Alles nur Worte? Warum uns im Weg steht, wie wir über Bildung sprechen. ON. Lernen In Der Digitalen Welt, 8, 8–11.

Bildquellen

  • OECD Learning 2030: OECD
  • Zukunftsorientiertes Lernen: Dall-e
Share.

Comments are closed.