Im Bildungsbereich sind die Begriffe ‚individualisiertes Lernen‘ und ‚personalisiertes Lernen‘ in den letzten Jahren zu Schlagwörtern geworden, die oft in Gesprächen und Diskussionen über innovative Lernmethoden auftauchen. Doch obwohl sie ähnliche Ziele verfolgen und den Lernprozess auf die Bedürfnisse einzelner Lernender ausrichten, werden sie häufig vermischt oder sogar als Synonyme betrachtet. Diese Begriffsverwirrung kann zu Missverständnissen führen und die Umsetzung effektiver Lernstrategien erschweren. In diesem Artikel werfen wir einen genaueren Blick auf die Unterschiede zwischen individualisiertem und personalisiertem Lernen, um ein besseres Verständnis für ihre jeweiligen Ansätze und Vorteile zu schaffen und die Bedeutung des personalisierten Lernens im Kontext der Zukunftsorientierung zu erläutern.
Beim personalisierten Lernen liegt der Schwerpunkt auf den individuellen Lernzielen der Lernenden. Dieser Ansatz erkennt an, dass Lernende unterschiedliche Vorkenntnisse, Interessen, Stärken und Schwächen haben. Daher werden die Lernziele individuell definiert und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten – im Idealfall durch die Lernenden selbst. Einige wichtige Merkmale des personalisierten Lernens sind:
- Individuelle Ziele: Jede/jeder Lernende setzt sich seine eigenen Lernziele, die auf den aktuellen Fähigkeiten und dem individuellen Fortschritt, aber auch eigenen Interessen und Wünschen basieren. Diese Ziele können sich im Laufe der Zeit ändern.
- Selbstgesteuertes Lernen: Lernende haben die Kontrolle über ihren Lernprozess und entscheiden, wie sie ihre Ziele erreichen möchten. Sie können das Lerntempo und die Lernmethode wählen, die am besten zu ihnen passen.
- Inhaltliche Differenzierung: Die Aktivitäten werden an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Lernenden angepasst. Dabei spielen die eigenen Ziele, Wünsche und Talente eine besondere Rolle. Dies kann bedeuten, dass einige Lernende anspruchsvollere Themen alleine angehen, während andere zusätzliche Unterstützung erhalten.
- Feedback und Anpassung: Lehrkräfte und Lernende arbeiten eng zusammen, um den Fortschritt zu überwachen und das Lernen bei Bedarf anzupassen. Feedback ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses.
Personalisiertes Lernen eignet sich also ganz besonders für den Kontext des zukunftsorientierten Lernens.
Beim individualisierten Lernen hingegen haben alle Lernenden das gleiche übergeordnete Lernziel oder die gleiche Endkompetenz, jedoch können sie unterschiedliche Wege wählen, um dieses Ziel zu erreichen. Hier sind einige wichtige Merkmale des individualisierten Lernens:
- Gemeinsame Lernziele: Alle Lernenden arbeiten auf ein gemeinsames Endziel hin, das im Lehrplan oder Curriculum festgelegt ist. Dieses Ziel kann z. B. ein bestimmtes Kompetenzniveau in einem Fach sein.
- Flexibilität bei der Umsetzung: Während das Endziel festgelegt ist, haben die Lernenden Flexibilität in Bezug auf den Weg, den sie wählen, um dieses Ziel zu erreichen. Sie können verschiedene Ressourcen und Methoden verwenden.
- Unterstützung: Lehrkräfte spielen eine entscheidende Rolle dabei, den Lernprozess zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Lernenden auf dem richtigen Weg sind, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
- Überwachung des Fortschritts: Lehrkräfte überwachen den Fortschritt der Lernenden und bieten bei Bedarf zusätzliche Unterstützung oder Anleitung.
Das individualisierte Lernen dient also als Hintergrund, um sicherzustellen, dass alle Lernenden die erforderlichen Kompetenzen entwickeln, während das personalisierte Lernen den Schwerpunkt auf die individuellen Bedürfnisse und Ziele jedes und jeder Lernenden legt.
Kritik des individualisierten Lernens im Kontext des zukunftsorientierten Lernens
Das individualisierte Lernen wird inzwischen häufig mit der Idee von Learning Analytics verbunden und mit der Vorstellung, dass man Lernende anhand vieler Daten überwachen und ihnen so die richtigen Lerninhalte, dank KI, zur Verfügung stellen kann. Dies beruht auf der festen Überzeugung, dass das aktuelle Bildungssystem gesetzt ist und sich nicht verändern kann oder sollte. Die notwendige kritische Reflexion des aktuellen Systems bleibt aus – womit wir der Zukunft massiv schaden. Nachfolgend einige Punkte, die dies illustrieren:
- Mangelnde Vorbereitung auf die Zusammenarbeit: Das individualisierte Lernen, bei dem jeder Lernende seinen eigenen Weg geht, kann dazu führen, dass Lernende weniger Gelegenheiten haben, in Gruppen zu arbeiten und soziale Fähigkeiten zu entwickeln. In der zukünftigen Arbeitswelt sind Zusammenarbeit und Teamarbeit jedoch entscheidend. Das individualisierte Lernen könnte die Vorbereitung auf diese Anforderungen vernachlässigen, aber vielmehr noch die Fähigkeit, gemeinsam die Zukunft zu gestalten.
- Fehlende Betonung von kritischem Denken und Problemlösung: In zukunftsorientierten Bildungsansätzen steht das kritische Denken, die Problemlösung und die Fähigkeit zur Anpassung im Mittelpunkt. Das individualisierte Lernen konzentriert sich zu stark auf das Erreichen von vordefinierten Zielen und vernachlässigt die Fähigkeit der Lernenden, komplexe Probleme anzugehen.
- Fremdbestimmung: Beim individualisierten Lernen sollen in der Regel bestimmte fremdbestimmte Ziele erreicht werden und auch wenn die Lernenden eine gewisse Autonomie haben, welchen Weg zum Ziel sie wählen wollen, greifen Lehrkräfte oder ein KI-System an entscheidenden Stellen ein und machen Vorschläge, wie das fremdbestimmte Ziel erreicht werden kann. Dies führt ggf. dazu, dass Lernende nicht lernen, selbst für sich zu denken und keine Selbstwirksamkeit erfahren.
- Begrenzte Exposition gegenüber Vielfalt und Vielseitigkeit: Wenn Lernende ihre eigenen Wege wählen, um gemeinsame Ziele zu erreichen, könnten sie dazu neigen, sich auf ihre bevorzugten Interessen und Stärken zu konzentrieren. Dies könnte zu einer begrenzten Exposition gegenüber einer breiten Vielfalt von Themen und Fähigkeiten führen, die in der zukünftigen Welt benötigt werden. Beim personalisierten Lernen hingegen haben zwar alle Lernenden ihre eigenen Ziele, arbeiten jedoch wo es sich anbietet gemeinsam, erkennen Synergien und greifen auf Kompetenzen außerhalb ihrer eigenen Gedankenwelt zurück.
Bildquellen
- Personalisiertes Lernen: Dall-e