Am 5.6. referierte Martin Ebner beim OPCO 2012 zum Thema „Learning Analytics“, dem Trend, der laut dem Horizon Report 2012 in 2-3 Jahren im Bildungsbereich relevant sein soll. Das Thema „Learning Analytics“ befasst sich u.a. mit dem Überfluss an Daten, dem wir im Internet ausgesetzt sind, betrachtet e-Learning mittlerweile als Standard und sieht die Notwendigkeit, die vorhandenen Lernressourcen pädagogisch wertvoll in Lernaktivitäten einzubinden. Außerdem werden politische Fragen angesprochen wie die Effizienz der Bildung, der ökonomische Aspekt und das goldene Kalb namens „Datenschutz“.
Martin Ebner kündigte an, dass es um folgende Fragen gehen würde und hielt dieses Versprechen auch:
- Was sind Lernerdaten?
- Was soll verbessert werden?
- Welche Interessen sind betroffen?
- Was ist die Rolle der Pädagogik?
- Wieso Learning Analytics wenn es kein Bildungscontrolling geben soll?
- Wem gehören die Daten?
Bevor Herr Ebner dazu überging, diese Fragen zu erörtern, wies es darauf hin, dass man den vom Horizon Report prognostizierten Trends gegenüber vorsichtig sein sollte, da sie nicht immer zuverlässig seien. Er belegte diese Aussage mit der Tatsache, dass Mobile Learning in den Jahren 2009 bis 2012 stets unter den Themen war, die innerhalb von 1-2 Jahren im Bildungsbereich relevant werden sollten, es jedoch bisher nicht sind. Somit gilt es als bewiesen, dass es durchaus möglich ist, dass sich ganz andere Dinge durchsetzen als prognostiziert.
Seit ca. 7 Jahren wird in der Forschung Educational Data Mining betrieben. Die Auswertung dieser aus dem Lehr- und Lernprozess gewonnenen Daten führt zu Statistiken, die dabei helfen sollen, Probleme im Bildungsbereich zu lösen. Auf ihnen basierend kann der Lern- und Lehrprozess optimiert werden, indem jeden Lerner individuelles Feedback und auf ihn zugeschnittene Empfehlungen erhält, Terminvereinbarungen online erfolgen und der Unterrichtende nachvollziehen kann, wie oft sich ein Schüler einloggt und eventuell sogar eine Prognose erhalten kann, was der Lerner können sollte. Ebenso können zum Beispiel Social Network – Analysen erstellt werden um nachzuvollziehen, welche Dienste effektiv genutzt werden und welche eher Zeitverschwendung sind.
Learning Analytics laut George Siemens (2010) basiert genau auf dieser Idee und will den Lernerfolg eines Individuums voraussagen und Empfehlungen zur Optimierung des Lernprozesses dieses Individuums auf der Basis von Lernerdaten aussprechen. So soll der Lerner informiert, jedoch auch optimal vernetzt werden. Eric Duval (2012) fasst diesen Sachverhalt zusammen, indem er Learning Analytics als das Verfolgen von Spuren bezeichnet, die dann zur Optimierung des Lernprozesses genutzt werden. Ebner selbst drückte es noch etwas salopper aus: „It’s all about data“, d.h. Learning Analytics ist die Interpretation von lernerspezifischen Daten um den individuellen Lernprozess gezielt zu verbessern (Ebner und Schön: 2012).
Als Beispiel für den Einsatz von Learning Analytics führte Ebner einen 1×1-Trainer an, den er mit konzipiert hat und der nach einem Vorabtest eine Voraussage trifft, welche Aufgabe als nächstes kommen sollte. Dabei wird ein individueller Algorithmus verwendet und die Motivation (also die Tatsache, dass man nur motiviert bleibt, wenn man weder unter- noch überfordert wird) fließt ebenso in die Berechnungen mit ein wie das Wissen darum, dass – anders als in der 60er-Jahren angenommen – die Wiederholung von bereits richtig gelösten Aufgaben notwendig ist. Hinter diesem Algorithmus stecken gerade diese durch Learning Analytics gewonnenen Daten. Der Lernfortschritt wird zudem regelmäßig überprüft und wenn die Leistung eines Schüler nicht dem „normalen“, vom individuellen Algorithmus errechneten Lernfortschritt entspricht, so bekommt der Lehrer eine Warnung und kann eingreifen.
Ebner wies abschließend darauf hin, dass sich das in Learning Analytics schlummernde Pozenzial aufgrund der großen Menge an Daten und sich immer weiter entwickelnden Sichtweisen zu diesem Thema jedoch nur schwer einschätzen lässt. Weiterhin rief er das Thema Datenschutz in Erinnerung, welches anders als in Nordamerika, dem Ursprungsland des Horizon Reports, in Europa ein Kernthema ist. Hier scheint er selbst – was ich absolut nachvollziehen kann und sofort unterschreiben würde – recht realistisch zu sein, wenn er auf Erica Naones Artikel „Anonym war gestern“ (2009) verweist und die Meinung vertritt, dass Aufklärung der richtige Weg ist; und zwar müssen sowohl die Anbieter als auch die Nutzer selbst zum richtigen Umgang mit Datenschutz erzogen werden. Die Anbieter müssen gewisse Grenzen respektieren (s. die nicht endende Diskussion um die Facebook-Datenschutzrichtlinien) und die User müssen sich darüber im Klaren sein, welche Spuren sie hinterlassen und wie diese Spuren (positiv und negativ) genutzt werden können. Denn obwohl natürlich solche Daten einfach zu missbrauchen sind, so sind wir auch zuweilen froh, wenn uns das Netz (vielleicht als Vorstufe des Web 3.0, als Web 2.5?) aufgrund genau diese „bösen Datenspur“, die wir hinterlassen, so manchen interessanten Vorschlag unterbreitet.
Schließlich gab Martin Ebner noch zu bedenken, dass man von einem Lehrer natürlich nicht erwarten könne, dass er dazu fähig sei oder die Zeit habe, all diese Lerner-Rohdaten zu analysieren. Daher ist es notwendig, dass Experten auf dem Gebiet uns Systeme zur Verfügung stellen, die uns Signale geben, wann wir eingreifen müssen um den Lernprozess eines einzelnen Schülers oder auch einer ganzen Gruppen von Schülern wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Frage ist jedoch, wer definiert, wann eine Warnglocke zu läuten hat. Da nur ein Lehrer seine Lerner wirklich kennt, wäre es vermutlich der einfachste Weg, wenn der Lehrer selbst gewisse Parameter einstellen könnte, was jedoch im Gegenzug wieder bedeutet, dass wir uns mit der Materie und dem zu benutzenden Tool über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftigen müssen um mit diesem Werkzeug so umzugehen, dass es uns wirklich Arbeit abnimmt und uns zu noch besseren Lehrern macht, weil wir nun fähig sind, eine wahrhaftige Binnendifferenzierung und nicht nur eine Pseudobinnendifferenzierung zu bieten.
Prinzipiell halte ich die Prognose, dass Learning Analytics im Bildungsbereich Anwendung finden sollen zwar für höchst interessant, jedoch bin ich der Meinung, dass eine gewisse Skepsis angebracht ist: Erstens halt ich den vorausgesagten Zeitraum von 2-3 Jahren für ein zu hochgestecktes Ziel, da Learning Analytics noch in den Kinderschuhen (oder eher Babysocken?) steckt. Des Weiteren bin ich momentan noch skeptisch, was das Ausmaß der Anwendung von Learning Analytics jenseits von Grundkenntnissen (Vokabellernen, Grundrechenarten …) angeht, da ich mir nicht vorstellen kann, wie ein Computer z.B. inhaltliche oder logische Fehler bei komplexeren Aufgabenstellungen wie beim Schreiben eines Textes erkennen sollte. Schließlich bezweifle ich auch stark, dass ein Lerner durch Learning Analytics z.B. Selbstkompetenz entwickeln und somit die Utopie des selbstgesteuerten Lernprozesses wahr werden könnte.
Allerdings bin ich durchaus der Meinung, dass wir insgesamt von der Idee der Learning Analytics profitieren könnten, dass dies aber noch Jahre dauern wird und auch voraussetzt, dass sich innerhalb der Lehrerschaft eine gewisse Akzeptanz der neuen Medien verbreitet. Dafür könnte u.a. ein Umdenken bei der Lehrerausbildung und eine Kehrtwende in der Politik sorgen, d.h. wenn wir klare Linien hätten, die sich an der Realität orientieren und uns nicht an schwammig formulierten Lernzielen, die vom idealen Schüler ausgehen, orientieren müssten.
Auch wenn ein guter Lehrer im Prinzip ein natürliches Gespür dafür hat, wo individuelle Probleme auftauchen könnten und daher genau hier besonders gut hinschaut und versucht, individuell oder auch in der Gruppe gegenzusteuern, so wäre es sicherlich aufgrund der hohen Anforderungen, die an den heutigen Lehrer gestellt werden (u.a. große Klassen, administrative Zusatzaufgaben, sinkendes Niveau, dem es gilt entgegen zu wirken, der stressige 45-Minuten-Takt der Schule mit nur 5 Minuten um ins Lehrerzimmer zu gehen, die Bücher für die nächste Stunde zu holen und in die nächste Klasse zu eilen und die Notwendigkeit, stets mit neuen Entwicklungen Schritt zu halten und nebenbei nicht vergessen zu atmen und sich hin und wieder menschlich zu zeigen:)) hilfreich, von den neuen Medien unterstützt zu werden, sodass man wirklich jedem Schüler gerecht werden kann und sein eigenes Zeitmanagement optimieren kann.
Die Angst so manches Kollegen, dass wir als Lehrer kontrolliert werden sollen oder irgendwann sogar überflüssig werden könnten, weil Maschinen unsere Aufgabe übernehmen, halte ich für paranoid, denn nichts kann einen Menschen ersetzen. Ich hege jedoch trotz allem Zweifel, dass es selbst unter diesen verbesserten Voraussetzungen zu 100% möglich ist, jedem Schüler gerecht zu werden. Nichtsdestotrotz denke ich, dass es zumindest ein Schritt in die richtige Richtung wäre. Käme noch hinzu, dass wir z.B. in einem gut aufeinander eingespielten Team arbeiten könnten (ein Traum!), wäre den Schülern und damit der Gesellschaft von Morgen sicherlich schon viel gedient, denn die Nachhaltigkeit im Bildungsbereich würde sicherlich davon profitieren.
Die Aufzeichnung des Online-Events, sowie Zusatzmaterialien finden Sie wie immer auf der entsprechenden Seite des Open Course 2012.
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