In der Regel halte ich mich von politischen Diskussion so weit fern, wie ich nur kann. Nicht nur, weil ich selbst mich nicht als Expertin auf diesem Gebiet sehe, sondern auch weil die Diskussionen oftmals ausufern und das ursprüngliche Thema komplett vergessen wird. Doch es gibt Momente, in denen politische Entwicklungen in der Welt ganz klar zeigen, wie dringend es für die Gesellschaft ist, dass das Bildungssystem nachhaltig und drastisch verändert wird, weil wir es uns nicht mehr leisten können, die Augen vor der Realität und der in schnellen Schritten auf uns zukommenden Zukunft zu verschließen. Denn sie wird nicht verschwinden, nur weil wir die Augen abwenden.
Ein solcher Moment ist jetzt, nur wenige Tage nachdem der russische Präsident beschlossen hat, seinen Truppen zu befehlen die Ukraine anzugreifen und in das Land einzumarschieren. Dieses Vorgehen ist – auch wenn es offiziell als bewaffneter Konflikt bezeichnet wird – ein Krieg, dessen Beginn sich ins kollektive Gedächtnis der Europäer einbrennen wird, wie dies zuletzt vermutlich bei einschneidenden Ereignissen wie dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und den Terroranschlägen in Frankreich 2015/2016 der Fall war.
Jedes Mal wenn ich Vorträge zum Thema Veränderung der Bildung für ein besseres Morgen halte, versuche ich den Zuhörern vor Augen zu führen, in welcher Welt wir leben. Dabei werden Themen angeführt wie Digitalisierung vs. Digitale Transformation, die exponentielle Zukunft, Veränderungen in der Bildungswelt und der Geschäftswelt, sowie Entwicklungen der letzten Jahre, zu denen seit dem 24. Februar 2022 neben den Auswirkungen des Klimawandels und der Corona-Pandemie auch die militärische Invasion der Ukraine gehört. All diese Probleme und auch die, die wir angesichts einer exponentiellen Zukunft noch gar nicht erahnen können, wird die Jugend von heute, die Generationen Z und Alpha, sowie deren Nachkommen, die Generation Beta, lösen müssen. Nicht zum Wohle der Erde, die sicherlich weiter bestehen kann, sondern zum Wohle der Menschheit.
Momentan werden all diese Aspekte in einem Bildungssystem, welches sich nach wie vor stark an den Anforderungen des Zeitalters der Industrialisierung orientiert, viel Wert auf akademische Exzellenz legt, und in dem der Digitalisierung weit mehr Bedeutung zugemessen zu werden scheint als der Digitalen Transformation und dem mit ihr einhergehenden kulturellen Wandel, grundlegend ignoriert. Doch die Digitale Transformation stellt ganz neue Anforderungen an die Bildung, wenn es nach wie vor das Ziel der Bildung ist, junge Menschen dazu zu befähigen, die Zukunft (auch unsere!) mündig mitzugestalten. Vor der Realität und vor dem, was dies für das System Schule bedeutet – nämlich die Notwendigkeit einer Revolution anstatt einer Evolution bzw. Optimierung eines grundlegend maroden Systems – verschließen viele nur zu gerne die Augen. Stattdessen nutzen sie Verzögerungstaktiken à la „Wir müssen alle im Boot haben“ und „Du bist schon viel weiter als alle anderen, das kannst Du nicht von allen erwarten, sowas braucht Zeit“. Vor 10 Jahren noch hätte ich das verstanden, aber nicht heute und aus dem Mund von Lehrkräften, die sich der Aufgabe verschrieben haben, unsere Jugend auf die Zukunft vorzubereiten, mit anderen Worten von den Menschen, die die Zukunft in ihren Händen halten. Denn sie sollten die Ersten sein, die die Realität klar sehen, offen sind für Veränderungen, sich lebenslang fortbilden, sich den Gegebenheiten anpassen und Vorbildfunktion einnehmen.
Doch in was für einer Welt leben wir denn objektiv betrachtet?
Wir leben in einer Welt, in der man davon ausgeht, dass russische Hacker maßgeblich den Wahlkampf in den USA 2016 beeinflusst haben.
Wir leben in einer Welt, in der ein Mensch wie der russische Präsident die Geschichte umschreiben möchte und einfach so eine Invasion seines Nachbarlandes beschließen kann.
Wir leben in einer Welt, in der Kriege auch über Social Media ausgetragen werden und sich auch das Hackerkollektiv Anonymous einschalten und Russland den Cyber-Krieg erklären kann.
Wir leben in einer Welt, in der der Vize-Premierminister und Minister der Digitalen Transformation der Ukraine über Twitter Elon Musk darum bitte, die Internetanbindung seines Volkes sicherzustellen
@elonmusk, while you try to colonize Mars — Russia try to occupy Ukraine! While your rockets successfully land from space — Russian rockets attack Ukrainian civil people! We ask you to provide Ukraine with Starlink stations and to address sane Russians to stand.
— Mykhailo Fedorov (@FedorovMykhailo) February 26, 2022
und in der Elon Musk sofort reagiert (auch wenn ihm manche Menschen misstrauen und dies als Zeichen dafür sehen, wie viel Macht er haben könnte)
Starlink service is now active in Ukraine. More terminals en route.
— Elon Musk (@elonmusk) February 26, 2022
Wie leben in einer Welt, in der der Präsident eines kleinen Landes, der noch keine drei Jahre in der Politik ist und früher Schauspieler war, versteht, Soziale Netzwerke wie Twitter und TikTok für sich zu nutzen und über Nacht zum Helden werden kann, weil er sich nicht wie andere Staatsoberhäupter dies tun würden, evakuieren lässt, sondern sein Land notfalls mit Waffengewalt an der Seite der Bürger verteidigen möchte.
Wir leben in einer Welt, die – ob wir es wollen oder nicht, ob wir es gut finden oder nicht – von der digitalen Transformation nachhaltig verändert wurde. Dies können wir nicht einfach ignorieren, sondern müssen es vor allem als Lehrkräfte sehr ernst nehmen. Nicht nur weil es sich hier um wichtige Bereiche der Lebenswelt der Jugendlichen handelt, die man berücksichtigen muss, um die Jugendlichen „im Unterricht“ zu motivieren, sondern weil die Welt durch sie beeinflusst wird und WIR es in der Hand haben, ob wir weitere Veränderungen mitgestalten oder sie anderen Nationen überlassen und dann von einer Zukunft überrumpelt werden, die wir nicht mehr verändern können.
Wir leben in der Gegenwart, die wir nicht mehr ändern können, die uns oftmals chaotisch vorkommen mag und in der wir das Gefühl haben, dass uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird. In dieser Welt genügt es nicht, Pilotstudien durchzuführen, um die Bildung mittel- bis langfristig zu optimieren, wir müssen HANDELN, dann evaluieren und optimieren. Denn in vielen Bereichen des Lebens sind wir in einer BANI-Welt angekommen und die Zeit drängt, die Zukunft steht vor der Tür. Das gilt nicht nur für den Bereich von Social Media, sondern auch für viele andere Bereiche wie Künstliche Intelligenz und das Metaverse. Die Gegenwart können wir nicht mehr verändern, die Zukunft haben WIR in der Hand.
The time is NOW!
The sky was the limit – Into the great wide open – Under them skies of blue – Out in the great wide open – A rebel without a clue