Der erste Vortrag, den ich mir bei der DaFWEBKON 2013 aus dem wirklich interessanten Programm, das jedoch zeitlich die Grenzen meiner Aufnahmefähigkeit an einem sowieso schon überfüllten Wochenende sprengen würde, ausgesucht hatte, war Thomas Strassers Vortrag mit dem Titel „Es war einmal vor langer Zeit… der allwissende Sprachlehrer und sein ambivalentes Verhältnis zu neuen Lerntechnologien“.
In seiner unnachahmlichen Art bot Thomas den mehr als 100 Zuhörern im AdobeConnect-Raum der DafWEBKON 2013 als „Appetizer“ das Zitat „Bildung ist nicht downloadbar“ von Günther Jauch an und fragte unmittelbar mit dem Folienwechsel auf eine Folie, auf der eine Szene von Wer wird Millionär? zu sehen war, ob Bildung denn nun in Wer wird Millionär? abprüfbar sei. Diesen frappierenden Widerspruch zweier Konzepte, für die Jauch steht, nutze er, um zu verdeutlichen, dass das Wort „Bildung“ per se keine eindeutige Bedeutung habe, jedoch heute wohl eher als die Fähigkeit des Wissensmanagements verstanden werden sollte als als reines Faktenwissen.
Wissensmanagement, so Strasser, sei banal ausgedrückt die Fähigkeit zu wissen, wo man wie welche Informationen finden kann. Besonders die Antwort auf das „Wie?“, also die Frage nach den zur Wissensaneignung notwendigen Werkzeuge, sei heutzutage natürlich eine Andere als die von früher. Habe man früher mit Hilfe von Schrift (1800-1920 mit der Schiefertafel, ab Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Bleistift), später mit Hilfe von visuellen Medien (1920 – 1960 AV-Geräte, später Overheadprojektoren und Sprachlabore, ab den 1960ern Bildungs-TV und Diaprojektoren) noch Wissen vermittelt, so sähen wir uns seit den 1980ern und der Erfindung des ersten PCs durch IBM mit einer immer rasanteren Veränderung der Medien konfrontiert (1980er: CD-Rom, 1990er: Internetcafés, ab 2006: Youtube mit der Khan Academy, seit kurzer Zeit: Social Media, informelles Lernen, mLearning) und müssten uns daran anpassen.
Besonders die social media sind für Strasser besonders bedeutsam im Bildungsbereich, da sie sich in der heutigen Bildungsdebatte als überaus wichtig herauskristallisiert haben, bedenke man u.a. dass die EU-Kommissarin Neelie Kroes mit ihrer Digital Agenda eindeutig deren Bedeutung betone.
Und auch in der Wissenschaft sei man heute längst vom monodirektionalen „typical teacher network“ (d.h. der Lehrer sucht sich mit Hilfe verschiedenster Medien die für seinen lehrerzentrierten Unterricht notwendigen Materialien) zur Vorstellung eines „vernetzten Lehrers“ übergegangen
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Dieser „vernetzte Lehrer“ befindet sich im Austausch mit den Unmengen an Information, die ihm zur Verfügung stehen, aber auch im Austausch mit KollegInnen, seinen SchülerInnen und der Welt und es sei auch für ihn notwendig, sich eine persönliche Lernumgebung zu schaffen, da auch er gemäß dem oben favorisierten Bildungsbegriff sich stets weiterbilde und keineswegs die Wissensautorität haben, die der Lehrer von früher genoß.
Das größte Problem dieser rasanten Veränderungen sei jedoch, dass sich die Betroffenen, allen voran Lehrerausbildner und Lehrer, nicht unbedingt gerne darauf einlassen, vielleicht weil sie dadurch einen Teil ihrer Autorität als „allwissender Lehrer“ zu verlieren glauben.
Natürlich berge das Internet große Gefahrenpotenziale, seien es nun die Sorge um die Privatsphäre, Copyright- und Qualitäts-Bedenken, Plagiats-Potenziale, die Tatsache, dass das Web 2.0 in seiner Transienz einem manchmal wie Sand durch die Finger zu rinnen scheine. Seine positiven Potenziale wie seine Interaktivität, die Förderung der Kreativität, die Personalisierbarkeit, die Förderung der interkulturellen Kommunikation und die Ausbildung von Medienkompetenz der User (also auch der Umgang mit den potenziellen Gefahren) überwiegen jedoch diese Gefahrenpotenziale bei Weitem… zumindest unter einer Voraussetzung: nämlich dass der Hauptaugenmerk nicht auf der Technik selbst liegt, sondern auf der didaktischen Anwendung der uns zur Verfügung stehenden Technologien, also im Rahmen von Blended Learning und unter Verwendung dessen, was Strasser als „educational apps“ bezeichnet.
Ich persönlich teile Thomas‘ Meinung, dass das größte Problem die Tatsache ist, dass sich sowohl die Lehrerausbildung als auch ein Großteil der bereits im Schuldienst tätigen Lehrer schwer tun, sich den rasenden Veränderungen der heutigen Welt anzupassen, definitiv. Ich finde es überaus bedauerlich, dass die Kollegen zögern, oder sich gar sperren, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und – „oh myyy“ – zu riskieren, auch einmal etwas von KollegInnen oder SchülerInnen zu lernen. Jedoch ist dies nach wie vor in vielen Schulen der Fall und der Lehrer, der gegen den Strom schwimmt wird bedauerlicherweise nicht selten als Außenseiter behandelt und endet als Einzelkämpfer oder gehört maximal – zugegebenermaßen etwas zynisch formuliert – zu einer als unbedeutend abgestempelten Oppositionsgruppe, der jegliche Legitimität abgesprochen wird. Nur so ist es erklärbar, dass mitunter Diskussionen aufkommen, ob man denn nicht die Jugend vor dem bösen Einfluss der neuen Medien zumindest im Schutzraum der Schule bewahren müsse. Dies vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass es zu unserer Aufgabe als LehrerIn gehört, unseren SchülerInnen die „richtige“ Anwendung der neuen Medien, die ihnen keineswegs mit in die Wiege gelegt wurde, beizubringen, gerade um sie vor diesen Gefahren zu bewahren.
Was ich neben Thomas‘ großer Vorliebe für leicht provokative Einstiege, die er dann gekonnt nutzt, um seinen Zuhörern seine gut durchdachte und hieb- und stichfeste Sicht der Dinge zu vermitteln diesmal erneut geschätzt habe, war die Tatsache, dass er anhand seiner prägnanten Slides und seiner ruhigen und überaus überzeugenden und mit Humor gespickten Vortragsweise auf der Metaebene darzulegen vermag, wie zutreffen der Inhalt seiner Präsentation tatsächlich ist. So bemerkte er gleich zu Anfang, dass er – anders als dies Günther Jauchs Ausspruch behauptet – durchaus Wissen aus dem Internet downloaden konnte, zumindest wenn man Wissen bzw. Bildung so definiere, wie dies Simmel tat: „Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß“ und damit Bildung als Wissensmanagement deutet, nicht als reines Faktenwissen. Denn schließlich hilft uns eingepauktes Wissen nur bedingt, da ein Kopf voller Fakten noch lange nichts mit diesen vielen Fakten anzufangen weiß, es sei denn, er hat gelernt, wie er damit umgehen kann. Somit ist weniger Faktenwissen manchmal mehr Bildung.
Zum Abschluss noch ein Appell an alle Kollegen, die Angst um ihre Position haben: Hören Sie auf Mr. Spock!
(Danke Thomas, für dieses Zitat. Ich hatte es fast vergessen! :))
Wer den Vortrag nachhören möchte, findet hier die entsprechende Aufzeichnung.
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