Im November hatte ich bereits freudig von der Veröffentlichung von „Web 2.0 im Fremdsprachenunterricht – Ein Praxisbuch für Lehrende in Schule und Hochschule“ berichtet.
Herausgegeben von Jürgen Wagner und Verena Heckmann bietet das Praxisbuch einen hervorragenden Überblick, wie das Web 2.0 im Fremdsprachenunterricht didaktisch wertvoll eingesetzt werden kann. Dabei geht es, wie es der Untertitel schon vermuten lässt, weniger um die theoretischen Überlegungen, die einer Verwendung von Web 2.0-Tools vorausgehen, sondern um ihre praktische Anwendung anhand von konkreten Lernszenarien, die man problemlos auf den eigenen Unterricht übertragen kann. Aus diesem Grund wurden auch durchweg Autoren berücksichtigt, die selbst über eine große praktische Erfahrung im Umgang mit dem Web 2.0 im Fremdsprachenunterricht verfügen und daher am besten darüber berichten können.
Die insgesamt 35 Artikel stammen von Praktikern wie Christophe Jaeglin, Thomas Strasser, Etienne Kneipp, Ulrike Montgomery, Christian Ollivier, Ingrid Braband, Elisabeth Buffard, Mélanie Auriel und Simon Ensor – um nur einige davon zu nennen, die ich selbst von (zumeist Online-)Fortbildungen kenne. Obwohl das Praxisbuch in Deutschland erschienen ist, bot es sich dennoch an, auch Beiträge in anderen Sprachen zu berücksichtigen. Schließlich handelt es sich um ein zukünftiges Standardwerk für FremdsprachenlehrerInnen. Aus diesem Grund finden sich neben 25 deutschsprachigen auch 5 Artikel auf Französisch, 3 auf Englisch und 2 auf Spanisch im Praxisbuch. Obwohl die einzelnen Artikel sich auf konkrete Fächer beziehen, lassen sich die darin beschriebenen und reflektierten Ideen natürlich problemlos auch auf andere Fächer übertragen. Des Weiteren geht es sowohl um die direkte Anwendung bestimmter Tools mit SchülerInnen als auch um die Frage, wie wir als Lehrer uns das Internet als Quelle von Unterrichtsmaterialien zunutze machen können.
Wie wir alle wissen, hat sich der Fremdsprachenunterricht in den letzten ca. 10 Jahren stark verändert und von der reinen Lehrbuch- und Grammatikarbeit gelöst. Das Erlernen einer Fremdsprache wird heute zunehmend vom kommunikativen Standpunkt aus definiert (s. z.B. der Bildungsplan BW von 2004). Diesem Paradigmenwechsel wird im Praxisbuch insofern Rechnung getragen, als dass sich fast ein Drittel aller Artikel primär oder sekundär mit der mündlichen Ausdrucksfähigkeit der SchülerInnen befassen. Dies ist besonders für LehrerInnen aus (Bundes-)Ländern, in denen das Abitur in einer lebenden Fremdsprache eine mündliche Prüfung vorsieht (s. Kommunikationsprüfung in BW ab 2014), ein Grund mehr, sich näher mit dem Praxisbuch zu beschäftigen. So sollen wir unsere SchülerInnen zwar möglichst effektiv auf diese neue Prüfungsform vorbereiten, jedoch ist es im Rahmen der inhaltlichen Anforderungen im Fremdsprachenunterricht in der Oberstufe überaus schwierig, diese Fertigkeit zu trainieren – bedenke man, dass bei einer Kursgröße von ca. 20 SchülerInnen bei einem 4-stündigen Kurs jeder Schüler pro Woche und unter Berücksichtigung der Sprechzeit des Lehrers auf einen maximalen Sprechanteil von ca. 5 Minuten kommt. Tools die zum Training der mündlichen Ausdrucksfähigkeit (aber auch des Hörverstehens) eingesetzt werden können und im Praxisbuch vertreten sind, sind VoiceThread, Audioboo und Fotobabble, sowie Podcasting allgemein.
Ein zweiter Schwerpunkt des Praxisbuchs ist die Frage, wie wir unseren SchülerInnen effektive Präsentationsfertigkeiten vermitteln können. Auch diese Fähigkeit ist in den letzten 10 Jahren in den Vordergrund gerückt. In Baden-Württemberg z.B. ist seit der Reform der gymnasialen Oberstufe seit dem Schuljahr 2002/2003 eine Präsentationsprüfung als 5. Prüfungsfach im Abitur vorgesehen und seit der Einführung des Bildungsplan von 2004 muss jeder Schüler ab Klasse 7 pro Jahr eine sogenannte GFS (Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen) vorweisen können. Wie wir unseren SchülerInnen jedoch diese Fähigkeit vermitteln sollen bleibt undefiniert und damit uns überlassen. Die Tatsache, dass die Präsentationsmöglichkeit sich im Zeitalter des Web 2.0 längst nicht mehr nur auf PowerPoint beschränken ist jedoch eine Information, die noch lange nicht in allen Schulen (und bei allen LehrerInnen) angekommen ist. Hier schlägt das Praxisbuch zum Beispiel neben den bereits erwähnten mündlichen Präsentiertools wie VoiceThread und Audioboo u.a. Popplet und Glogster vor.
Ein dritter und letzter Schwerpunkt des Praxisbuchs ist die durch die neuen Medien ermöglichte effektive Kollaboration von SchülerInnen untereinander und mit LehrerInnen. Insgesamt beschäftigen sich fast die Hälfte aller abgedruckten Artikel mit der Frage, wie man sich diesen Pluspunkt der neuen Medien im modernen Fremdsprachenunterricht zu Nutzen machen kann. Dabei geht es nicht nur um Moodle, sondern auch um mobiles Lernen und soziale Netzwerke wie Facebook, Google+ und Edmodo, sondern auch um Wikis, Shared Documents (z.B. GoogleDocs), Blogs und Microblogging (z.B. Twitter), sowie um Pinterest. Besonders erfreulich für mich ist die Tatsache, dass nicht nur Moodle Erwähnung findet, sondern auch öffentlichere Netzwerke thematisiert werden, da sie meines Erachtens auch im „geschützten Raum“ der Schule durchaus ihre Daseinsberechtigung haben.
Insgesamt betrachtet bietet das Praxisbuch also sowohl „alten Hasen“ im Bereich der neuen Medien als auch Neulingen (und nicht zuletzt Referendaren!) eine Momentaufnahme der Möglichkeiten, die das Web 2.0 im Fremdsprachenunterricht bietet. Momentaufnahme deshalb, weil sich das Web 2.0 und die exemplarisch erwähnten Webtools ständig weiterentwickeln und verändern. Die Idee, die ihrer Verwendung zugrunde liegt, bleibt jedoch nach wie vor erhalten, weshalb das Praxisbuch auch in einigen Jahren nicht obsolet geworden sein wird. Zudem geht es im Praxisbuch sowohl um die sprachliche Komponente als auch um Arbeitstechniken, Landeskunde und Literatur. Dies bedeutet auch, dass die Arbeit mit dem Lehrbuch nicht getrennt von der Arbeit mit dem Computer stattfinden muss bzw. darf, sondern dass beide Arbeitsmittel durchaus gemeinsam verwendet und als komplementär betrachtet werden können. Damit dürften die Ansicht, dass der Einsatz der neuen Medien im Fremdsprachenunterricht zu Lasten des „richtigen Unterrichts“ geht und reine Zeitverschwendung darstellt, bald der Vergangenheit angehören.
Somit lohnt sich die Anschaffung dieses hervorragenden Werks nicht nur für FremdsprachenlehrerInnen, sondern auch für Fachschaften und Studienseminare und ich möchte auch älteren KollegInnen ans Herz legen, einmal einen Blick in „Web 2.0 im Fremdsprachenunterricht“ zu werfen und dem Thema neue Medien mit Offenheit gegenüber zu treten. Sie werden sehen, dass es sich lohnt und Sie es nicht bereuen werden!
Schließlich möchte ich an dieser Stelle noch auf die kommenden, das Praxisbuch begleitenden Online-Fortbildungen erinnern, sowie auf meine Rezensionen von folgenden bereits zurückliegenden Fortbildungen verweisen (jeweils mit Link zur Aufzeichnung der Fortbildung):
- La classe connectée (Mélanie Auriel)
- Podcasting on the Go (Simon Ensor)
- Mobile Learning, Apps und Moodle (Ulrike Montgomery)
- Todaysmeet (Mag. Dr. Thomas Strasser)
- Faire vivre l’échange franco-allemand à l’ère du Web 2.0 (Christophe Jaeglin)
- Real-life-tasks im sozialen Web (Dr. Christian Ollivier)
Ebenso lohnt es sich, einen Blick auf Patricia Donaghys Blog zu werfen, wo Sie Rezensionen zum Buch und zu einzelnen Artikeln in englischer Sprache finden:
- Web 2.0 Good Practice Guide
- Podcasting on the Go by Simon Ensor
- Using Web 2.0 as a Source for Material by Andrew Pickles
- Digital Storytelling by Renke Samusch, Dominik Baumecker and Moritz Zockler